Kapitel 7

 

November 2002

 

Heute war Tag der Beerdigung.

Ich hatte keine Lust und wollte auch nicht wirklich dahin gehen.

Wieso auch?

Lediglich meine Mutter versuchte mir klar zu machen, dass es das Letzte sei, was ich für meinen “Vater“ noch machen könnte.

Aber wollte ich das eigentlich?

Wollte ich für einen Menschen noch etwas tun, der für mich auch nichts gemacht hat?

Ich entschied mich dann doch mitzufahren.

Meine Mutter hätte wohl sonst doch keine ruhe gegeben.

Gemeinsam mit meiner Tante und meinem Cousin machten wir uns dann auf den Weg zur Kirche.

Ich hasste Kirchen und an den “lieben Gott“ dachte ich auch schon länger nicht mehr.

All die Freunde, die Familie und sogar Arbeitskollegen von meinem “Vater“ waren da.

Jeder einzelne von ihnen war am Boden zerstört und ich hatte keine Ahnung wieso.

Passierte es nicht täglich, dass Menschen starben?

Da wurde doch auch nicht so ein Aufhebens drum gemacht.

Ich verfolgte die Messe ohne eine Träne zu vergießen.

Es war eher so, als sei ich völlig fehl am Platze.

Ich sollte schreien, weinen, fluchen, doch ich blieb stumm.

In dem Moment empfand ich keine Trauer.

Es war als sei ich auf der Beerdigung eines Mannes, den ich nie kannte.

Vielleicht war es ja auch so.

Möglicherweise kannte ich diesen Mann der sich mein Vater nannte auch nie wirklich.

 

 

Erst als wir nach der Messe draußen waren, brachen bei mir alle Dämme und ich weinte.

Aber nicht wegen dem Tod meines “Vaters“ sondern weil es mir weh tat, zu sehen wie fertig die Nachbarin meiner Großeltern und meine Großeltern selber waren.

Die Nachbarin kam kurz zu uns und sprach mit uns.

Das ganze Gespräch über rannen ihr unaufhaltsam die Tränen über die Wangen.

Sie hatte ähnlich wie die anderen hier schwer an dem Verlust zu knabbern.

Aber bei mir waren die Tränen schnell wieder getrocknet und ich hatte meine Fassung wiedererlangt.

Ich musste nicht mal gegen die Tränen ankämpfen, da einfach keine kommen wollten.

Selbst wenn ich wirklich gewollt hätte, ich hätte nicht weinen können.

In mir machte sich lediglich ein bedrückendes Gefühl breit, aber keine wirkliche Trauer.

Zu diesem Zeitpunkt und mit den ganzen weinenden Menschen im Hinterkopf fragte ich mich da zum ersten Mal, ob ich vielleicht nicht normal war?!

Gemeinsam ging es dann von der Kirche aus zu Fuß zum Friedhof.

Der Weg war nicht weit, vielleicht einen Kilometer, aber ich hatte das Gefühl, dass er sich endlos hinzog.

Wollte ich das alles doch nur einfach hinter mich bringen und mit dem Thema abschließen.

 

 

Auf dem Friedhof selber gingen einige nochmal in die Leichenhalle, in der mein

“Vater“ aufgebahrt wurde.

Der Sarg war offen, also entschied ich mich nicht mehr hinzugehen.

Wollte ich das nicht mehr sehen und in dem Moment hatte ich auch nicht das Bedürfnis das zu sehen.

Kurze Zeit später kamen die Bestatter dann und trugen den Sarg zu Grabe.

Wir hatten uns etwas Abseits gestellt, um meinen Großeltern und seiner Frau den Vortritt zu lassen.

Als wir an der Reihe waren, schmiss ich ein paar Blumen in das Loch, auf den Sarg und ging weiter.

Keiner schenkte mir Beachtung, aber die brauchte ich in dem Moment auch nicht.

Ich kam mit dem ganzen immer noch am Besten klar.

Als seine Frau dann an der Reihe war, drehte sie völlig durch.

Sie schrie, tobte und weinte.

Ja, sie machte sogar Anstalten in das offene Grab zu springen.

Darüber konnte ich nur mit dem Kopf schütteln.

Hatte ich doch von Anfang an immer das Gefühl gehabt, dass sie meinen Vater nie wirklich geliebt hatte und einfach nur jemanden brauchte für die Kinder.

Am liebsten hätte ich mich in dem Moment auf sie geschmissen und ihr das alles an den Kopf geknallt.

Aber ich hatte Anstand und blieb stumm.

Das angrenzende Essen an die Beerdigung ließen wir ausfallen und fuhren wieder nach Hause.

Hatte ich meiner Mutter gesagt, dass ich das nicht auch noch brauchte und sie war meiner Meinung.

Wenigstens das würde mir erspart bleiben.

Zu Hause ging für mich das Leben dann wieder ganz normal weiter.

Ich zog mich um und es war so, als sei das vorher nie passiert.

 

 

Mit meiner “Stiefmutter“ und meinem Halbbruder hatte ich danach auch nichts mehr zu tun.

Mir kam immer nur von meinen Großeltern zu Ohren, was sie so für Schindluder trieb, aber das bestätigte auch nur, was ich ohnehin schon wusste.

Sie hatte sich bereits im 6 Wochen Amt nach der Beerdigung in einer Diskothek einen neuen Kerl angelacht.

Diesen hatte sie auch schon im April 2003 geheiratet.

Allerdings hielt die Ehe auch nur ungefähr ein Jahr, bis sie sich wieder scheiden ließ.

Die offizielle Erklärung von meinen Großeltern war, dass sie sich scheiden gelassen hatte, weil er zu viele Autos kaputt gefahren hatte.

Ich bin sicher, dass es noch einen anderen Grund hatte, aber den habe ich nie erfahren.

Kurze Zeit später verließ sie den Ort und zog mit meinem Halbbruder nach Frankfurt.

Ihre beiden anderen Kinder blieben hier.

Nun wohnt sie schon seit einiger Zeit im Westerwald und ich habe sie seit der Beerdigung nicht mehr gesehen.

Meinen Halbbruder habe ich hier und da zu Weihnachten und Ostern nochmal bei meinen Großeltern gesehen, wenn wir zusammen da waren.

Aber das ist vom heutigen Stand gesehen auch schon wieder Jahre her.

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