Kapitel 10

 

2003

 

Ein ganzes halbes Jahr hatte ich an seinem Bett gesessen.

Jeden Tag aufs neue und immer wieder so lange ich durfte.

Ich hatte mittlerweile bei einigen Schwestern einen Sonderstatus und dufte länger bleiben.

Einige nahmen es mehr als genau und schmissen mich pünktlich raus.

Ich hatte in der Zeit eine Menge Gespräche mit Krankenschwestern und Ärzten geführt.

Hatte mich immer wieder als seine Schwester ausgegeben, um an Informationen zu kommen.

Die Ärzte hatten es mir abgekauft und so erfuhr ich immer, was ich wissen musste und sollte.

Als sie mir sagten, dass es keinen Sinn mehr habe und die Geräte abgestellt werden müssten, protestierte ich wie wild dagegen.

Ich hatte mit allem gedroht und hatte mich zum Schluss auch durchgesetzt.

Wusste ich selber nicht, wo ich die unglaubliche Kraft hernahm, aber ich wusste, dass er es schaffen würde und das er auch hier wieder zu sich kommen würde.

Wollte ich ihn einfach noch nicht aufgeben.

Das war ich ihm schuldig.

Er hatte sich immer und immer wieder für mich eingesetzt und nun war ich dran.

Jetzt war meine Zeit gekommen, ihm etwas zurückzugeben und das würde ich nun auch tun.

Also ging ich wie vorher auch schon jeden Tag zu ihm.

Kontrollierte immer wieder, ob sich was geändert hatte oder nicht.

Redete mit ihm und hoffte, dass es was bringen würde.

 

 

So auch am heutigen Tage.

Ich hatte mich nach der Schule direkt auf den Weg ins Krankenhaus gemacht.

Heute hatte ich es mehr als eilig.

Ich wollte unbedingt zu ihm und nach ihm sehen.

Wieso wusste ich selber nicht genau, aber es war wie eine unsichtbare Hand, die mich immer und immer wieder dazu drängte zu ihm zu gehen.

Als ich den Gang entlang ging zu seinem Zimmer überkam mich ein schlechtes Gefühl.

Ich versuchte es zu ignorieren, aber es ließ sich nicht wegdenken.

Angst machte sich in mir breit, dass ich vielleicht zu spät kommen könnte oder das es schlechte Nachrichten gab.

Also entschied ich mich erst mit einer Schwester zu reden, bevor ich das Zimmer betrat.

Allerdings hatte ich hier nicht viel raus gefunden, denn sie sagte, dass sich nichts geändert hatte an seinem Zustand.

Es war ein Segen und ein Fluch zugleich.

Wenn sich nichts geändert hatte, dann war es zumindest nicht schlechter geworden, aber es war auch leider nicht besser geworden.

Also würde es heute so sein wie immer.

Ich betrat den Raum und sah ihn im Bett liegen.

Direkt überkam mich ein schweres Gefühl.

Es war, als hätte man mir tausend Steine auf die Schultern gelegt.

Mit kleinen Schritten näherte ich mich langsam dem Bett und setzte mich vorsichtig daneben auf einen Stuhl.

 

 

So wie ich es jeden Tag machte, nahm ich seine Hand in meine und erzählte ihm, was es neues gab.

Heute hatte ich scheinbar einen schlechten Tag erwischt, denn als ich ihm sagte, dass ich ihn dringend brauchte und das er mich nicht verlassen konnte, kamen mir die Tränen.

Ich versuchte diese zu unterdrücken und wischte sie schnell weg.

Den Kopf gesenkt starrte ich auf den Boden vor meinen Füßen.

Mir war klar, dass ich keinen Grund hatte zu weinen.

Wusste ich doch, dass es immer noch Menschen gab, denen es wesentlich schlimmer ging als mir.

Dann hatte ich das Gefühl eine Bewegung seiner Hand in meiner gespürt zu haben.

Ich hatte keine Ahnung, ob ich mir das nur eingebildet hatte, oder ob es wirklich so war.

Wahrscheinlich hatte ich es mir nur eingebildet und es war gar nicht so.

Meine Nerven hatten gelitten und ich war mehr als fertig.

Es war wohl einfach nur der unbändige Wunsch, dass er wieder zu sich kam.

Ich sah ihm ins Gesicht und hoffte dort ein Zeichen finden zu können.

Und tatsächlich, seine Lider bewegten sich.

Zwar nur minimal, aber sie bewegten sich.

Erst wollte ich nach einer Schwester klingeln, war mir aber nicht sicher und wartete lieber noch etwas.

Doch als Julien dann die Augen versuchte ganz zu öffnen, war ich mir sicher, dass ich mich nicht getäuscht haben musste.

Sofort klingelte ich nach der Schwester.

 

 

Diese kam auch schon kurze Zeit später und nahm ihn gleich samt Bett mit zu Untersuchungen und ich war wieder alleine.

Ich wartete geduldig, bis der Arzt zu mir kam.

Gefühlte Stunden hatte ich da gesessen und einfach nur gewartet und gebetet, dass der Arzt kam und gute Nachrichten für mich hatte.

Dann sah ich ihn den Gang entlang kommen und rannte auch gleich auf ihn zu.

Aufgeregt wollte ich auch sogleich wissen, was jetzt mit Julien war.

Er erklärte mir, dass er es sich nicht erklären könne und das er nicht wüsste, wie das möglich sei, aber das er wieder bei Bewusstsein war und das es ihm soweit auch gut gehen würde.

Nun würde er noch hier bleiben müssen, zur Beobachtung und wenn sich der Zustand verbessern würde, dann könnte er sogar wieder auf Normalstation.

Ich sprang vor Freude dem Arzt in die Arme.

Im Nachhinein war mir das mehr als peinlich, aber in dem Moment freute ich mich einfach nur wie ein kleines Kind an Weihnachten.

Denn das, was ich hier erlebt hatte, grenzte beinahe schon an ein Wunder.

Aber das sollte mir auch egal sein, denn wichtig war jetzt nur noch, dass Julien sich schnell fing und das es ihm den Umständen entsprechend gut ging.

Jetzt hatte ich nach langer Zeit endlich wieder das Gefühl, dass alles gut werden könnte.

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Thema: Kapitel 10

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